Zimmer mit Ausblick: Ein Morgen im Hafen Veliki Brijun
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Die Melodie dalmatinischer Lieder ist von der Terrasse des Hotels Neptun auf der anderen Seite des Hafens auf Große Brion zu hören. Mein Zimmer im Hotel Karmen hat keine Klimaanlage, aber eines der besten Aussichten auf dem Mediterraneum. Das Hotel wurde 1913 von Paul Kupelwieser, einem österreichisch-ungarischen Industriellen, der 1893 den Archipel gekauft, mit dem Plan, dort den Tourismus zu entwickeln.

Kupelwieser, dessen Grab ich während einer Fahrradtour durch das Innere der Insel gefunden habe, fing mit der Realisation seines Plans ziemlich seriös an. In einer sehr kurzen Zeit wurde die erste Abholzung der dichten Macchie durchgeführt, viele Baumsorten wurden gepflanzt und die ersten Bauarbeiten begannen. Das erste energetische Objekt war eine Windmühle (sie diente zum Wasserpumpen, zum Steineverkleinern, zum Starten der Motoren, zur Kühlung der Geräte usw.) und danach wurde das Aggregat aufgestellt. Die ersten Gäste, damals noch in bescheidenen Unterkünften, waren schon 1896 auf Brioni. Auch die Landwirtschaft hat man nicht vergessen. Schon 1896 fingen die ersten archäologischen und konservatorischen Arbeiten an. Um Malaria zu bekämpfen, wendet sich Kupelwieser an den berühmten Bakteriologen Robert Koch, der seine Mitarbeiter schickt, wonach er auch selbst auf die Insel kommt. Nach ihren Anweisungen wurden alle Teiche und Pfützen begraben, Brutstätten von Mücken, die Malaria übertragen, vernichtet und die Patienten wurden mit Chinin behandelt. Bereits nach einem Jahr gab es keine Neuerkrankten.

Er hat Malaria auf den Inseln Ausgerottet: Robert Koch
Er hat Malaria auf den Inseln Ausgerottet: Robert Koch

VON JOYCE BIS STRAUSS

Nach diesem Erfolg fing der Bau von größeren Hotelobjekten an und bis 1913 wurden vier Hotels mit insgesamt 320 und etwa zehn Villen gebaut. Mit dem Hotelbau kamen auch weitere Projekte: das Dock, die Post mit einer Telefonzentrale, ca. 50 Kilometer Straßen und Gehwege, ein Badeort mit 180 Kaninen, ein Hallenbad mit warmem Meereswasser, ein Casino, ein Pferdezuchtverein, viele unterschiedliche Sportfelder und der größte Golfplatz in Europa (18 Löcher und 5.850 m Bahnen). Wein und Öl wurden in eigenen Weinbergen und Olivenhainen, und sowohl die Milch als auch der Käse waren das Produkt Brijuner Weiden. Für die Inseln wurde auch als heilklimatische Kurorte geworben und ab 1910 hatten sie auch ihre eigene Wochenzeitung „Brijuni-Inselzeitung“. Daraus erfuhren wir, dass auf Brijuni zur selben Zeit sogar elf Erzherzogen und Erzherzoginnen (am 31. Juli 1910), 16 Prinzen und Prinzessinnen (am 31. März 1911), 18 Industrielle (am 27. April 1911) zusammentrafen. Aus den genannten Anzeigen können wir sehen, dass die Saison fast das ganze Jahr über dauerte, und die Struktur der Gäste zeigt, dass der Aufenthalt auf Brijuni die Bestätigung des gesellschaftlichen Status und Prestige bedeutet.

König Lear: Rade Serbedzijaund Ksenija Marinkovic
König Lear: Rade Serbedzijaund Ksenija Marinkovic

Im Bootshaus, der sezessionistischen Schönheit, die im Hafen bewahrt wurde, arbeitete einst der Inselarzt und heute befindet sich dort ein kleines Museum. Dort fanden wir heraus, dass zu dieser Zeit der rumänische König Michael, der Maler Gustav Klimt, der Erfinder Guglielmo Marconi, der Erzherzog Franz Ferdinand, die Schriftsteller James Joyce und Thomas Mann, der Komponist Richard Strauss auf der Insel waren.

Der erste Weltkrieg unterbrach diesen Aufstiegsweg und nach dem Krieg wurden Brioni gemeinsam mit Istrien Italien angeschlossen, aber die Inselgruppe blieb weiterhin im Besitz der Familie Kupelwieser. Im Bereich des Tourismus war die Konkurrenz in Italien stärker, und der Börsenkrach 1929 führte Karl Kupelwieser (Pauls Sohn) in den Bankrott und ein Jahr später durch Selbstmord auch in den Tod. 1936, nach dem offiziellen Konkurs, ging die Verwaltung an das Finanzministerium Italiens über. Wenig später entschied sich Italien für größere Investitionen – eine tägliche direkte Seefluglinie bis zum Archipel. Aber der Fortschritt wird wieder von einer Weltkatastrophe unterbrochen. Anstelle von angesehenen reichen Adeligen sind in den Fluren des Hotels nur noch Marineoffiziere zu sehen. Unmittelbar vor dem Kriegsende kam es zu mehreren Bombenanschlägen seitens der Alliierten, und die schlimmste Zestörung fand am 25. April 1945 statt, als zwei Hotels, ein Teil des Ufers und viele Häuser vernichtet wurden.

Die ganze Welt: Tito mit Ho Chi Minh
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VON ELISABETH TAYLOR BIS HAILE SELASSIE

Kurz nach dem Krieg 1947 betritt der jugoslawische Präsident Josip Broz Tito den Archipel, was die neue Geschichte des Archipels prägt, die noch spektakulärer sein werden sollte als in der Sezession. 1949 wird der Archipel zu Titos Sommerresidenz. Die Kriegsruinen wurden entfernt und Schritt für Schritt wurde die Infrastruktur (Kommunikationssysteme, Wasserwerke) erneut und ausgebaut, die Hotelanlagen renoviert und die Parkausstattung verbessert. Zwei repräsentative Objekte wurden am westlichen Ufer von Veliki Brijun gebaut: Bijelavila, Titos offizielle Residenz (1953) und Brijunka, die Residenz für ausländischen Staatsbesuch. 30 Jahre lang war Brijuni das Ambiente, in dem Tito seine Arbeits- und Freizeit verbrachte. Als Gastgeber und Staatsoberhaupt empfing er hier 53 Staats- und Parteichefs, noch Premierminister, Minister oder Delegationen aus dem Ausland. Von Königin Elisabeth II und Richard Burton, über Sophia Loren bis hin zu Gina Lollobrigida. Die ganze Welt kam in den 30er Jahren, vor allem im letzten Jahrzehnt vor Titos Tod, um den ersten Mann Jugoslawiens zu besuchen. Dieser Epoche wurde auch die Ausstellung Tito auf Brijuni gewidmet, nach der man nur erschließen kann, dass kein Land nach dem Zerfall Jugoslawiens in den nächsten tausend Jahren nicht einmal einen Teil dieses internationalen Ansehens und Ruhms haben wird, welche Tito damals für die SFRJ errang. Vor dem Museum ist auch Titos 5,6 m langer Eldorado Cadillac aus dem Jahr 1953 geparkt.

Königin Elisabeth II und Tito
Königin Elisabeth II und Tito

Ich besuchte den Archipel schon zum zweiten Jahr nacheinander wegen des berühmten Festivals Ulysses, das schon seit 18 Jahren von dem Künstlerehepaar Lenka Udovicki und Rade Serbedzija mit dem Maestro Dusko Ljustina, der schon seit 40 Jahren Leiter des Theaters Kerempuh aus Zagreb ist, organisiert wird.  Ich kenne nur wenige Menschen, die wie Dusko sind. Seine Organisationsfähigkeiten und soziale Intelligenz haben dazu geführt, dass diese kleine „Komune“ auf Brijuni eines der erfolgreichsten und andauerndsten regionalen Theaterfestivals wurde, das zu Zeiten der Transition gegründet wurde.

Geschichte auf jedem Schritt: Der Blick aus einer römischen Villa auf die Bucht Verige
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ZWEI „LA BELLE EPOQUE”

Brijuni ist ein Nationalpark und alle Objekte sind in Staatsbesitz, was viele negative, aber auch außergewöhnliche positive Seiten hat. Auf der Insel gibt es keine Autos, alles sieht so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben, als wäre man im Jahr 1983 gelandet. Auf der Hotelterrasse spielt der Klavierspieler während des Frühstücks klassische Melodien. Es gibt keine Lokale mit lauter Musik, keine „betrunkenen Engländer“ und „schroffen Russen“ wie anderswo an der Adria, alles nur „feine Leute“. In meinem Zimmer gibt es WLAN auf dem Balkon, manchmal kann man sich ans WLAN der verankerten Yachten hängen.

Er nahm sich nach dem Börsenkrach das Leben1929: Die Gräber von Marija und Karl Kupelwieser
Er nahm sich nach dem Börsenkrach das Leben1929: Die Gräber von Marija und Karl Kupelwieser

Zur Terrasse des Ulysses wurde ich wortwörtlich geschleppt, und zwar von Ljustina Junior, Todoric Junior und Ivan Burazin, die meinen Wunsch nach der gestrigen Aufführung Bakhe des Zagreber Jugendtheaters auszuschlafen nicht erfüllen wollten. Da dies die letzte Aufführung dieses Stücks auf der Festung Minor auf der Insel Mali Brijuni war, war das ein Anlass zum Feiern. Wie Schauspieler so sind – der Alkohol floss in Strömen. Ljustina ist anfangs bei der Eintrittskontrolle am Kai in Fazana, von woher sich das Publikum auf den Weg zur Insel Mali Brijun macht und eine Stunde später in der Gesellschaft der berühmten Vanessa Redgrave, einer Freundin von Lenka und Rade und regelmäßigen Besucherin auf Brijuni zu sehen.

Der Besitzer des Archipels: Paul Kupelwieser, ein österreichischer Industrieller
Der Besitzer des Archipels: Paul Kupelwieser, ein österreichischer Industrieller

Auf der magischen Terrasse von Ulysses sitzen schon seit Jahren Leute aus dem schauspielerischen, medialen und wirtschaftlichen Etablissement Kroatiens und der ganzen Region. Nichts auf dieser Terrasse ist prätentiös, es ist eher schäbig, hat aber einen gewissen Charme, welcher durch eine ungewöhnliche Mischung von österreichisch-ungarischem und sozialistischem Flair entsteht, als direkte Folge von Kupelwiesers 20 und Titos 30 Jahren auf Brioni entstanden ist – zwei „la belle epoque” des Archipels. Alles was davor, danach oder dazwischen geschah hatte diesen Glanz nicht. Wenn sie ein Fahrrad ausleihen und eine Tour durch die Insel machen, werden sie sehen, dass es dort viel mehr Geschichte gibt, als man auf den ersten Blick meinen würde – von Dinosaurierfußstapfen in einem Stein am nördlichen Ufer der Insel Veliki Brijun, über Reste einer magischen römischen Villa bis zu Kochs Weg…

Auf Brioni gibt es kein 5-Sterne-Hotel und Luxusresorts, Wasserparks und Nachtklubs, aber die Atmosphäre auf der Terrasse des Hotels Karmen (2*) mit Ausblick auf den Hafen, auf der ich diesen Text schreibe, kommt in die Kategorie „unbezahlbar“.