DAS ERSTE "EUROPÄISCHE HOTEL" IN KONSTANTINOPEL: Pera Palace
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Ilham Gencer ist 92 Jahre alt und spielt jeden Nachmittag zwischen drei und fünf, im Kubeli-Salon des Hotels “Pera Palace“ in Istanbul, Klavier. Klein, schlank und in einem aprikosenfarbigen Sakko – doch wenn er anfängt zu singen, überrascht er jeden, der ihm beim Nachmittagstee zuhört. Vom unvermeidbaren Frank Sinatra über Elvis bis zu türkischen Balladen singt Ilham jeden Nachmittag und stärkt so seinen Platz im Parthenon der Legenden des zeitgenössischen Istanbuls.

Die Hotels mit einem „Überfluss an Geschichte“ haben auf der ganzen Welt einen besonderen Charme, den Ihnen moderne Luxusresorts mit Pools und Glaswänden anstelle von Fenstern nicht nehmen können. Das “Pera Palace“ ist mit seiner Geschichte, berühmten Gästen und dem Charme, den es bewahrt hat, zweifellos an der Spitze dieser Kategorie von Hotels. Ihm ähneln das “Excelsior” am Lido di Venezia, “The Plaza” in New York, “Copacabana Palace” in Rio, “Alfonso XIII” in Sevilla, “Hotel de L’Europe” in Amsterdam oder das “Claridges” in London.

Wie hat alles angefangen? Durch die Bestimmungen des Berliner Kongresses von 1878 wurde Obrenovics Serbien angewiesen, mit dem Bau der Eisenbahnlinie zu beginnen, durch die die komplette Landroute des “Orient Express”, Paris-Istanbul, verbunden werden konnte. Am 4. August 1884 eröffnete König Milan Obrenovic feierlich die Eisenbahnstrecke Belgrad – Nis und die Züge konnten losfahren.

DIE GLORREICHE ÄRA DER EISENBAHNEN: Das Plakat für den "Orient Express" Paris - Konstantinopel
DIE GLORREICHE ÄRA DER EISENBAHNEN: Das Plakat für den “Orient Express” Paris – Konstantinopel

Die angesehenen Passagiere des “Orient Express” hatten im damaligen Konstantinopel jedoch kein angemessenes Hotel, in dem sie sich niederlassen konnten. Das Unternehmen, das den “Orient Express” besaß, entschied, den Bau des “ersten europäischen Hotels” in der Hauptstadt des Osmanischen Reiches zu initiieren. Die Wahl fiel auf den türkischen Architekten französischer Herkunft, Alexandre Vallaury, der für den Bau einiger der schönsten Gebäude Istanbuls bekannt ist, darunter das Café Lebon, die Hidayet Moschee, der Sitz der Osmanischen Reichsbank, das Gebäude des Archäologischen Museums und andere.

Die Arbeiten begannen im Jahr 1892 und schon drei Jahre später wurde ein großer Ball abgehalten und das Hotel damit  offiziell eröffnet, welches nach dem Stadtteil Pera, in dem es sich befindet, benannt wurde. Vallaury baute das Hotel in einer Mischung aus verschiedenen Stilen – dem Neoklassizismus, dem “Art Nouveau” – Stil der Ära, in der es entstand und orientalischen Details. Über der Teestube befinden sich speziell gestaltete Kuppeln, die bei Bedarf geöffnet werden, damit die warme Luft entweichen kann, was an den heißen Tagen von Konstantinopel, vor der Erfindung der Klimaanlage, von unschätzbarem Wert war.

Die Reisenden wurden in speziellen Tragen vom Hauptbahnhof zum Hotel durch steile, für Kutschen ungeeignete Straßen getragen. Es handelt sich um luxuriöse „Einsitzer“, die von zwei Männern auf Holzstangen getragen wurden.

Die Liste der berühmten Gäste des Hotels, vor dem Ersten Weltkrieg, war beeindruckend – von Königin Victoria über Kaiser Franz Joseph bis zu den Obrenovics und Karadjordjevics.

Das Hotel war das erste in der Türkei, das Strom hatte und das erste, das einen Aufzug bekam. Es war ein Aufzug der berühmten Schweizer Fabrik “Schindler”, die noch heute arbeitet, aber nichts mit dem berühmten Oskar Schindler zu tun hat. Mit demselben Aufzug fuhren wir vom Erdgeschoss in den ersten Stock, wo sich das Zimmer, in dem während des Jahres 1919 der Vater der modernen Türkei – Mustafa Kemal Ataturk wohnte, befindet. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges fiel Konstantinopel, als die Hauptstadt der besiegten Türkei, unter die Besatzung der alliierten Streitkräfte (Großbritannien, Frankreich und Italien) und Ataturk, der zu dieser Zeit Verteidigungsminister war, verhandelte in diesem Hotel mit ihren Generälen über die Beendigung des Besatzungsstatus. Das war das erste Mal, seit dem Fall von Byzanz im Jahr 1453, dass Konstantinopel in die Hände einer anderen Armee gelangte.

In der Gedenkstube befindet sich ein Salon, in dem Ataturk wohnte, sein Schlafzimmer, ein Badezimmer und eine Uhr, auf der die Zeit – gleich wie im Dolmabahce-Palast –  auf neun Uhr und fünf Minuten am Morgen, dem Moment, als als der Vater der türkischen Nation das letzte mal ausatmete, gestoppt wurde. Kostenlose Besuche der Gedenkstube sind für alle Interessierten jeden Tag zwischen 10 und 11 Uhr vormittags und von 15 bis 16 Uhr nachmittags möglich.

KUBBELI SALOON: Die Eleganz der Belle Epoque
KUBBELI SALOON: Die Eleganz der Belle Epoque

Ich reiste in mehr als 80 Länder auf fünf Kontinenten. In allen Ländern hängen auf öffentlichen Plätzen die Bilder von gegenwärtigen Herrschern – Königen, Königinnen, Präsidenten,  oder selten, der Premierminister. Nirgendwo wird wie in der Türkei der Führer, der vor mehr als 80 Jahren gestorben ist und davor nur 15 Jahre regierte, so gefeiert. Dafür, wie sehr sein Volk Mustafa Kemal Ataturk (1881-1938) zu Dank verpflichtet ist, spricht die Tatsache, dass Millionen seiner Porträts in der Türkei, in allen Hotels, auf Flughäfen, in Restaurants, Friseurladen und auf Märkten hängen. Der derzeitige Herrscher Erdogan versucht, wie am neuen Flughafen Istanbul, Ataturks Beispiel zu folgen, aber nur er ist im ganzen Staat beispiellos. Dabei sprechen wir über einen Führer, der kein Populist und Nationalist war, der das Tragen vom Fes und Niqab verbot, die Türkei zu einem säkularen Staat machte und die Moschee Hagia Sophia in ein Museum verwandelte, aus Pietät gegenüber dem, was sie bis 1453 war… “Wenn wir das Glück gehabt hätten, dass er  dreimal 15 Jahre lang regierte hätte, wären wir heute wie Deutschland oder Amerika!”, sagte mir der Leiter im Dolmabahce-Palast, ein Türke, dessen Eltern vor 60 Jahren aus Tetovo in Mazedonien zugezogen waren.

"MITTERNACHT IM PERA PALACE: Die Geburt des modernen Istanbul", Buch von Charles King
“MITTERNACHT IM PERA PALACE: Die Geburt des modernen Istanbul”, Buch von Charles King

Das Ende der Besatzung von Konstantinopel und der Griechisch-Türkischen Krieg brachte “zivile” Gäste ins “Pera Palace“ zurück. Einer der bekanntesten von ihnen war Agatha Christie, die vermutlich 1934 den größten Teil ihres Romans “Mord im Orientexpress” im Zimmer 411 schrieb. Zu dieser Zeit wird das Hotel auch von Ernest Hemingway (Harry, der Hauptheld von „Der Schnee am Kilimandscharo“, übernachtet genau in diesem Hotel), Alfred Hitchcock, Greta Garbo, Zsa Zsa Gabor und anderen Reichen und Berühmten dieser Epoche besucht.

Den Liebhabern der Atmosphäre der Zwischenkriegszeit empfehle ich den Roman “Mitternacht im Pera Palace: Die Geburt des modernen Istanbul” des amerikanischen Autors Charles Kings. Er beschreibt die Silvesterparty des Jahr 1926 in diesem Hotel, als die Türkei zum ersten Mal einen einheitlichen Kalender und Uhr benutzte. Istanbul war in den zwanziger Jahren alles andere als muslimisch und türkisch – in ihm wimmelt es von ausländischen Soldaten, die die Stadt nach dem Ersten Weltkrieg besetzten, Weißrussen, die vor der Oktoberrevolution flohen, lokalen Armeniern, Griechen und Juden, Jazzmusikern, Abenteurern und Spionen aus aller Welt.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges kam ein interessanter Gast im Hotel „Pera Palace“ an. Er ist keine berühmte Person, ist auf dem Weg von Moskau nach Belgrad und hier in Istanbul wartet er im Jahr 1940 drei Monate lang auf seinen Reisepass. Der mysteriöse Gast war der kommunistische Agitator Josip Broz, der ein Jahr später unter dem Namen Tito einen Partisanenaufstand gegen die Nazis im okkupierten Jugoslawien führte. Der Pass schaffte es endlich nach Istanbul, gebracht von der jungen kommunistischen Aktivistin Herta Haas. In einem Zimmer des Pera Palace Hotels wurde eine Liebe geboren, Herta wurde zu Titos zweiter Ehefrau und im folgenden Jahr wurde in Zagreb ihr Sohn, Miša Broz, geboren.

Während des Zweiten Weltkrieges erklärte die Türkei die Neutralität und so wurde Istanbul, wie auch Lissabon, oder Tanger zu einem Spionagetreffpunkt. Spione der Achsenmächte versammelten sich im Park Hotel und die Aliierten im Pera Palace. Im Jahre 1941 zündeten die Nazis eine Bombe am Haupteingang des Hotels, die am Gebäude wesentliche Schaden verursachte.

Das Hotel, das den Fall des Osmanischen Reiches überlebte, dazu die Geburt der Republik, zwei Weltkriege, den Pogrom der Griechen im Jahr 1955 und mehrere Militärputsche, bringt in der Nachkriegsperiode Gäste aus der ganzen Welt zurück.

IN SEINEM 92. LEBENSJAHR SPIELT ER JEDEN NACHMITTAG: Ilham Gencer am Klavier in der Hotellounge
IN SEINEM 92. LEBENSJAHR SPIELT ER JEDEN NACHMITTAG: Ilham Gencer am Klavier in der Hotellounge

Am 7. März 1979 besetzten Journalisten aus der ganzen Welt das Appartement 411 des Pera Palace Hotels. Der Grund dafür war sehr bizarr und es handelte vom Verschwinden von Agatha Christie, die 1926 elf Tage lang nirgends gefunden werden konnte, um danach in einem Hotel in Yorkshire, England, aufzutauchen. Sie behauptete, dass sie sich nicht daran erinnern könne, wo sie diese elf Tage gewesen sei. Die Filmgesellschaft Warner Brothers, die 1979 den Film Agatha über dieses Ereignis drehte (Die Hauptrollen wurden von Dustin Hoffman und Vanessa Redgrave gespielt) engagierte dabei die berühmte Hellseherin Tamara Rand, um mit dem Geist der verstorbenen Schriftstellerin in Kontakt zu treten. Die Hellseherin behauptete, dass der Geist von Agatha Christie mit ihr sprach und dass er sagte, es gäbe im Appartement 411 des Pera Palace Hotels zwischen Holzbrettern und der Wand einen Schlüssel, den die Schriftstellerin dort versteckt hatte. Das ganze Ereignis wurde live per Satellit im amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt und tatsächlich wurde ein acht Zentimeter langer Schlüssel zwischen der Appartementeingangstür und dem Boden gefunden. Der Hotelmanager behielt den Schlüssel und die Hellseherin behauptete, dass es Agatha Christies unveröffentlichte Tagebücher gibt, die in einer Truhe sind, die von eben diesem Schlüssel geöffnet werden kann. Die Truhe und damit auch die Tagebücher wurden niemals gefunden und so bleibt das Rätsel von Agatha Christies Verschwinden im Jahr 1926 bis heute ungelöst.

Am letzten Tag unseres Aufenthalts im Hotel treffen wir Ilham an, wie er Gäste aus Taiwan unterhält und sogar eine chinesische Nationalballade spielt. Ilhan, voller Kraft und Energie, begrüßt uns und setzt mit Sinatras Lied “My Way” fort, während neue Gäste den Salon betreten, die einen Teil des Geistes der glorreichen Epoche fühlen möchten, als durch diese Korridore Agatha Christie und Ernest Hemingway geschritten waren.