Die ehemalige Synagoge, heute das Jüdische Museum in Miami
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Bis zu den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts (ja, damals hatte Amerika Hitler im Krieg schon besiegt!) war es Juden verboten, Teile von Miami Beach, die nördlich von der 3. Straße lagen, zu besiedeln. Viele Hotels trugen Schilder mit den Aufschriften: „Always A View, Never A Jew” und „Restricted Clientele”, „Gentiles Only”, was übersetzt bedeutete, dass keine jüdischen Gäste erwünscht waren.

In die ehemalige Beth Jacob Synagoge, das heutige Jüdische Museum in der 3. Straße in Miami Beach, kommt man nicht so einfach wie in jedes andere Museum hinein. Ich klingelte und kurz darauf erschien ein Polizist, ein Afroamerikaner, der fragte, was ich wolle. „Kann ich ins Museum?“, fragte ich verwirrt. „Mal sehen!“, lächelte er und sagte – „Das hängt davon ab, was Du im Rucksack trägst?“.

Er ließ mich durch einen Metalldetektor laufen und durchsuchte meinen Rucksack gründlich. Einen Tag später holte am Flughafen von Fort Lauderdale, unweit von Miami, ein Terrorist ein automatisches Gewehr aus seinem Gepäck (das vorher wohl nicht gründlich durchsucht wurde?) und tötete fünf Passagiere.

Die Eintrittskarte in der Höhe von acht Dollar zahlte ich einer älteren Frau mit russischem Akzent. Später sah ich im Museum ein Foto, auf dem sie gerade mal fünf Jahre alt war. Eva Shvedova wurde 1949 in Pinsk in Weißrussland, der damaligen Sowjetunion, geboren. Sie studierte in Leningrad und später arbeitete sie als Konstrukteurin von elektronischen Geräten in sowjetischen U-Booten. In den 80ern, als Gorbatschow während der Perestroika den sowjetischen Juden erlaubte, nach Israel und in die USA zu reisen, zog sie nach Miami.

Andrea Kovac, eine weitere ältere Dame, die ehrenamtlich im Museum arbeitet, ist eine ungarische Jüdin, die mit ihren Eltern nach dem Ungarischen Volksaufstand 1956 ihre Heimat verließ. Sie lebten danach ein halbes Jahrundert lang in Venezuela und zogen vor zwanzig Jahren, als Hugo Chávez zum Präsidenten gewählt wurde, nach Miami. Sie sagte, sie hat nur schöne Erinnerungen an Venezuela, aber, dass man heute dort nur schwierig leben könne.

 

DIE REISE DES VERDAMMTEN SCHIFFES

 

Andrea erzählte uns eine Episode aus der Geschichte Miamis, die ich schon kannte: Bis zu den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts (ja, damals hatte Amerika Hitler im Krieg schon besiegt!) war es den Juden verboten Teile von Miami Beach, die nördlich von der 3. Straße lagen, zu besiedeln. Viele Hotels trugen Schilder mit den Aufschriften: „Always A View, Never A Jew” und „Restricted Clientele”, „Gentiles Only”, was übersetzt bedeutete, dass keine jüdischen Gäste erwünscht waren. Einige dieser Tafeln kann man heute im Jüdischen Museum sehen. Und gerade jüdische Architekten und Unternehmer waren für den Boom des berühmten Art Deco Viertels in Miami Beach verantwortlich, zuerst südlich der 3. Straße und später auch in nördlicheren Straßen. Heute ist dieses Viertel mit dem Ocean Drive die wichtigste touristische Attraktion Floridas – neben Disneyland in Orlando und den Alligatoren in den Sümpfen der Everglades.

Wenn von Juden die Rede ist, gibt es ein trauriges Ereignis aus der Geschichte der USA, das sich unweit von hier abspielte. Im Jahr 1939 erlaubte Hitler, dass eine bestimmte Anzahl von Juden Deutschland verlässt. Insgesamt 937 Juden reisten mit dem Schiff St. Luis ab. Die Reise der Verdammten (1974 wurde ein gleichnamiger Film mit Faye Dunaway verfilmt) führte in Richtung Kuba, wo aber nur 29 Passagiere die Erlaubnis bekamen, auszusteigen. Danach ankerte das Schiff im Hoheitsgebiet der USA, vor Miami Beach (es wird erzählt, dass man das Schiff vom Dach der Synagoge in der 3. Straße sehen konnte). Aber auch der damalige Präsident F. D. Roosevelt gestattete es den Juden nicht, dort von Bord zu gehen. Die St. Luis fuhr zurück nach Europa und 288 Passagiere wurden in Großbritannien aufgenommen, der Rest ging nach Belgien, Frankreich und in die Niederlande, wo die meisten dem Holocaust zum Opfer fielen, als diese Staaten okkupiert wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam eine große Anzahl von Juden aus Europa nach Florida und einige zogen wegen des Klimas auch in andere US-Staaten. Miami Beach war für jüdische Rentner ein angenehmer Ort zum Leben, bis 1980 Fidel Castro 124.000 Kubanern erlaubte, die Insel in Schiffen und Booten zu verlassen. Die meisten von ihnen waren Gefängnisinsassen und fast alle gingen in Miami Beach an Land, sodass dieser Teil Floridas für dessen Drogenszene bekannt wurde, was die meisten Leser wohl in Brian De Palmas Film Scarface, mit Al Pacino in der Rolle von Tony Montana, gesehen haben. Wegen der täglichen Gewalt auf den Straßen zogen die meisten jüdischen Rentner in andere Teile von Miami und Florida. Heute ist Miami Beach wieder ein sicherer Ort, der jedes Jahr Millionen Touristen anzieht. Die Synagoge wurde 1986 geschlossen und wurde zehn Jahre später ein Museum.

Paul und Hedy Strnad, aufgenommen vor dem Krieg in Prag
Paul und Hedy Strnad, aufgenommen vor dem Krieg in Prag

HEDY ÜBERLEBTE DEN HOLOCAUST NICHT, IHRE KREATIONEN JEDOCH SCHON

Kommen wir zurück zum Museum in der 3. Straße, das viele ungewöhnliche Geschichten verbirgt, von denen ich die interessantesten erzählen möchte.

Im Jahr 1997 fand Familie Strnad aus Milwaukee in den USA einen Umschlag mit einem Brief aus 1939, auf dem ein Stempel war, der bestätigte, dass das Versenden dieses Briefes von der Naziregierung gestattet wurde. Der Brief kam aus der Tschechoslowakei, die damals schon von den Nazis okkupiert war – er war von Paul Strnad an seinen Verwandten Alvin in Milwaukee gerichtet. Paul bat Alvin darum, ihm und seiner Frau zu helfen, in die Vereinigten Staaten zu kommen. Hedy war vor dem Krieg eine bekannte Modedesignerin und Paul schickte mit dem Brief acht Zeichnungen von Kleidern, die Hedy kreierte, damit Alvin sie potentiellen Arbeitgebern in Milwaukee zeigen könne.

Paul und Hedy erlebten das Ende des Krieges nicht. Einige Monate vor der Befreiung von Auschwitz wurden sie aus Theresienstadt, dem sogenannten Paradieslager, das den Nazis als Beispiel für den menschlichen Umgang mit Juden bei internationalen Inspektionen diente, in das berüchtigte Lager deportiert.

Die Kleiderdesigns, die den Holocaust überlebten
Die Kleiderdesigns, die den Holocaust überlebten

Fast sechzig Jahre lag der Brief in einer Kiste auf dem Dachboden der Familie Strnad aus Milwaukee, bevor er ans Tageslicht kam. Die Familie Strnad übergab ihn der Jüdischen historischen Gesellschaft in Milwaukee und als 2008 ein Jüdisches Museum in dieser Stadt eröffnet wurde, wurde er Teil der Dauerausstellung. 2014 schenkte das Museum, in Zusammenarbeit mit Schneidern aus einem städtischen Theater, den Kleidern auf Hedys Skizzen Leben. Die Ausstellung, in der auch Hedys Kleider zu sehen sind, ist gerade auf einer US-Tournee. „Diese Geschichte zeigt uns, dass im Holocaust nicht nur sechs Millionen Leben vernichtet wurden! Es verschwanden auch zahlreiche talentierte und kreative Menschen, die, hätten sie überlebt, die Welt zu einem besseren Ort zum Leben hätten machen können!“, sagte die russische Jüdin Eva am Beginn der  Ausstellungstour.

Die nach Hedy Strnads Design gemachten Kleider
Die nach Hedy Strnads Design gemachten Kleider

WIE LANSKY NAZIS IN NEW YORK PRÜGELTE

Die nächste Geschichte handelt von einem Mann mit einem ganz anderen Hintergrund. Auf jedem der Fenster der Synagoge befinden sich Namen der Spender, die diese beeindruckenden Mosaikfenster spendeten. Auf einem davon, vom Eingang aus rechts, das auf die 3. Straße blickt, steht der Name Meyer Lansky.

Dabei handelt es sich um den berüchtigten Mafiaboss, der diese Synagoge regelmäßig besuchte, um wohl Gott um Vergebnis für seine Sünden zu beten. Meyer Lansky, der langjährige Partner von Lucky Luciano und Bugsy Siegel, diente vielen Autoren und Filmemachern als Inspiration für Mafiageschichten. Die Leser werden wahrscheinlich am ehesten Hyman Roth, den jüdischen Gangster aus Florida im Film Der Pate 2 kennen.

Er wurde 1902 im Dorf Grodno, im damaligen zaristischen Russland (heute Weißrussland), geboren und wanderte mit seiner Familie über Odessa in die USA aus, um einem der zahlreichen antisemitischen Pogrome zu entfliehen.

Schon als Teenager lernte er in New York, wohin sie – wie auch die meisten anderen jüdischen Einwanderer – zogen, Bugsy Siegel kennen. Gemeinsam wurden sie bald danach zu den größten Gangstern der Prohibition.

1936 fängt Lansky an, sein Glücksspielreich in Florida, New Orleans und Kuba aufzubauen. Zehn Jahre später war er der Hauptfinanzierer in Bagsy Siegels Hotel Flamingo in Las Vegas und eröffnete Konten in der Schweiz, um das Geld, das er durch „schmutzige Geschäfte“ verdiente, zu sichern.

Am Anfang des Zweiten Weltkriegs, bevor die USA im Krieg gegen Deutschland und Japan waren, suspendierte Lansky vorübergehend seine kriminellen Aktivitäten, um sich mit der Bekämpfung der pro-nationalsozialistischen Meetings, der damals zahlreichen Hitler-Befürworter in den USA, zu beschäftigen. Über ein solches Ereignis in Yorkville, einem deutschen Viertel in Manhattan, sagte Lansky einmal:

„Die Bühne war mit Hakenkreuzen und einem Foto von Adolf Hilter dekoriert. Insgesamt 15 Leute nahmen an der Aktion Teil. Einige warfen wir durchs Fenster, die meisten Nazis rannten panisch weg… Diejenigen, die wir geschnappt haben, haben wir so richtig verprügelt! Wir wollten ihnen zeigen, dass die Juden nicht immer nur ruhig dasitzen und Schläge auf sich nehmen werden!“

Meyer Lansky, jüdischer Gangster, Held in vielen Filmen
Meyer Lansky, jüdischer Gangster, Held in vielen Filmen

MAFIAKONGRESS IM HOTEL NATIONAL IN HAVANA

Lansky hat am 22. Dezember 1946 im Hotel National die berühmte „Konferenz in Havana“ zusammengerufen, das wahrscheinlich größte Mafiatreffen auf der westlichen Erdhalbkugel. Die Konferenz versammelte die wichtigsten Mafiabosse und Familienoberhäupter aus ganz Amerika. Lucky Luciano kam zu diesem Anlass mit einem gefälschten italienischen Pass. Und erraten Sie, wer für die Unterhaltug zuständig war? Es war – Frank Sinatra. Eine Reminiszenz an dieses Ereignis finden wir auch im Film Der Pate 2, in der Szene, wo ein Mafiatreffen in Havana gezeigt wird.

Lansky entwickelte sein Glücksspielreich in Kuba bis zur Silvesternacht 1959, als Kastro mit seinen Truppen in Havana einmarschierte. Einen Tag zuvor flog Lansky mit dem Flugzeug auf die Bahamas.

Neben dem Film Der Pate 2 erscheint Lansky auch als Inspiration für Rollen in zahlreichen anderen Filmen: Er ist Max Berkowitz (von James Woods gespielt) in Es war einmal in Amerika, Ben Kingsley spielt ihn im Film Bugsy aus 1991, Patrick Dempsey im Film Mobsters (1991) und Dustin Hoffman im Film The Lost City (2005).

1970 versuchte er mit einer Reise nach Israel eine Anklage wegen Steuerhinterziehung in den USA zu vermeiden, jedoch wurde er zwei Jahre später an die USA ausgeliefert. Die letzten Tage seines Lebens verbrachte er bei Spaziergängen mit seinem Hund und in der Synagoge in der 3. Straße. Er starb am 15. Januar 1983, in seinem 80. Lebensjahr. Das FBI glaubte, Lansky habe auf geheimen Konten etwa 300 Millionen Dollar gehabt (was heute eine ungefähr zehn mal so hohe Summe ergeben würde), aber es wurde nie ein Cent davon gefunden.