Andorra
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Während meines Aufenthalts in Andorra machte mich eine ungewöhnliche und äußerst bizarre Episode im Zusammenhang mit dem russischen Abenteurer Boris Skossyreff neugierig, der sich im Sommer 1934 zum König von Andorra erklärte und den Namen Boris I. annahm.

Boris I., König von Andorra
Boris I., König von Andorra

Seit acht Jahrhunderten unterliegt das Fürstentum Andorra der gemeinsamen Souveränität des französischen Staatsoberhauptes (des Königs, Kaisers, Präsidenten…) und des spanischen Bischofs von Seu d’Urgell. Die einzige Ausnahme war die achttägige Herrschaft von König Boris I. – im Juli 1934.

Das Grab in Boppard. Als Geburtsjahr wurde 1900 angegeben, obwohl die meisten Quellen besagen, dass es 1896 ist.
Das Grab in Boppard. Als Geburtsjahr wurde 1900 angegeben, obwohl die meisten Quellen besagen, dass es 1896 ist.

Boris Skossyreff, geboren 1896 in Vilnius (damals im Russischen Kaiserreich, dann in Polen, heute – die Hauptstadt von Litauen), verließ sein Land 1917, als die Oktoberrevolution ausbrach. Danach lebte er in Großbritannien, Japan, den USA… Als der Erste Weltkrieg zu Ende ging und Vilnius Polen zugeschrieben wurde, kehrte Boris kurz in seine Heimatstadt zurück, 1922 bekam er schließlich die holländische Staatsbürgerschaft.

1927 kam er nach Andorra, wo er mit seinen „Geschäften“ begann, vier Jahre später heiratete er eine reiche, zehn Jahre ältere Französin – Marie Louise de Parat Gassier. Kurz darauf wurde er auch in Gesellschaft seiner amerikanischen Liebhaberin Florence Marmon gesehen. Er lebte in Andorra la Vella, im Vorort Santa Coloma, in einer Villa, die sehr schnell „Russisches Haus“ getauft wurde.

Boris wurde in Gesprächen mit der lokalen Gemeinde bewusst, dass ein Land ohne Tourismus, ohne Glücksspiel und ohne Wintersport, aber mit Schnee, der das Land die meiste Zeit des Jahres bedeckt, nicht wirklich Chancen auf Wohlstand hat. Genehmigungen zum Bau eines Casinos wie in Monte Carlo 1881 wurden seitens der konservativen Bischöfe aus Seu d’Urgell „auf Eis gelegt“.

"Russisches Haus" in Andorra
“Russisches Haus” in Andorra

Am 7. Juli 1934 berief Boris in Begleitschaft seiner jungen amerikanischen Liebhaberin eine Ratssitzung ein und wird mit 24 Stimmen und einer Enthaltung zum König von Andorra – König Boris I. ernannt.

Sein offizieller Titel lautete: “Boris I, Prince of the Valleys of Andorra, Count of Orange and Baron of Skossyreff… sovereign of Andorra and defender of the faith”.

Der neue König ließ 10 000 Exemplare der neuen Verfassung des Königreichs Andorra drucken, gab Interviews an ausländische Magazine und Tageszeitungen, posierte für Fotografen und versprach, dass das Land sehr schnell zum „Kupfer-, Glücksspiel- und Tourismusparadies“ werden würde, genau wie Monaco, Liechtenstein, Luxemburg und andere kleine europäische Staaten. Frankreich zeigte kein großes Interesse am kleinen Nachbarstaat, aber dafür intervenierte der Bischof von Seu d’Urgell bei den spanischen Behörden, die am 21. Juli die Polizei schickten, um König Boris I. zu verhaften und mit Wachen nach Barcelona zu transportieren.

Zwei Tage später wurde er mit dem Zug, in einem drittklassigen Waggon, nach Madrid verlegt und im Gefängnis „La Model“ eingekerkert, wo er seine Rolle des „verbannten Monarchen“ weiterspielte. Etwas später wurde er nach Portugal ausgewiesen, von wo er nach Marokko ging, in die Stadt Tanger, die unter internationaler Verwaltung stand. Später wurde er in ganz Europa gesichtet, er war sogar in einem Lager in Vichy in Frankreich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, aber auch an der Ostfront.

Boris, in der Mitte, im Exil in Portugal
Boris, in der Mitte, im Exil in Portugal

Er starb 1989 in der deutschen Kleinstadt Boppard in seinem 93. Lebensjahr.

Den Roman “Boris I., König von Andorra” veröffentlichte der katalanische Autor Antoni Morell i Mora 1984. Das Buch widmete er seiner Großmutter, die behauptete, Skossyreff persönlich gekannt zu haben. Der Roman wurde später auch als Theateraufführung aufgeführt.

Ich glaube, dass die meisten Touristen aus Russland, von denen heutzutage Tausende jedes Jahr zum Skifahren und Shoppen ins kleine Fürstentum in den Pyrenäen kommen, keine Ahnung von der interessanten Geschichte haben, die sich hier vor 80 Jahren abgespielt hat und deren Hauptprotagonist ein Landsmann gewesen war.